Der beste Weg ein dummer Spieler zu werden

Ein Großteil der Ballwechsel im Badminton wird durch Fehler entschieden. Aber wieso passieren selbst noch absoluten Profispielern so viele, oft unnötige Fehler trotz mehrerer Stunden Training an jedem Tag? Man könnte doch meinen, dass gewisse Bewegungen irgendwann perfektioniert sind, aber so funktionieren offene Spielsportarten wie Badminton leider nicht.

Rafael Nadal schreibt in seiner Biographie sehr treffend: „Dies liegt nicht nur daran, dass man sich an jedem Tag anders fühlt, sondern auch daran, dass jeder aber auch wirklich jeder Schlag anders ist. Sobald der Ball in Bewegung ist, fliegt er in einer geringfügigen anderen Geschwindigkeit auf dich zu: mit mehr Topspin oder Slice, flacher oder höher, auch wenn die Unterschiede zwar unendlich klein sein mögen. Kein ankommender Ball gleicht dem anderen, kein Schlag dem anderen. Daher musst du bei jeder Ballannahme in Sekundenbruchteilen Flugbahn und Geschwindigkeit des Balls einschätzen und entscheiden, wie und wo du den Ball annehmen und mit welcher Härte du den Ball zurückschlagen sollst.

Auch wenn es sich bei dem Beispiel um Tennis handelt, lässt sich die Aussage doch auch ideal auf Badminton übertragen. Keine Situation gleicht der anderen, jede Situation erfordert eine individuelle Handlungslösung die gewählt werden muss. Nur wenn „gute Lösungen“ gewählt werden besteht eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit  den Ball mit guter Qualität über das Netz zu bekommen oder gar Punkte zu erzielen.

Gute Spieler wählen sehr häufig gute Lösungen und können diese mit hoher Qualität ausführen. Doch wie kann man so etwas lernen und die große Komplexität der Sportart meistern? Ich kann euch sagen wie es nicht geht aber wie man es leider  viel zu häufig sieht: durch isoliertes Techniktraining mit Zuwurf aus dem Stand und ganz viel Zuspiel aus der Ballmaschine.

Der Grund des Problems

Mir fällt beim Spielen immer wieder auf, dass viele Gegner im Einzel oft riesige Probleme haben, wenn ich einen Ball flach übers Netz in die Mitte des Feldes spiele. Ganz häufig kommt direkt ein unkluger Ball genau in meine Deckung oder unnötige Fehler, obwohl der Ball ja eigentlich direkt zu ihnen kommt und sie nicht einmal laufen müssen. Woran liegt das? Ich würde stark tippen, weil sie solche Situationen nie trainieren und keine Ahnung haben, was sie tun sollten.

Tag für Tag werden Schläge aus den vier Ecken trainiert und mit Zuwurf und Zuspiel wird meist versucht, eine möglichst identische Situation herzustellen, um unter angenehmen Bedingungen Techniken einzuschleifen. Aber sind die Situationen überhaupt realistisch und relevant für ein Spiel und kann ich den Schlag auch unter Belastung und mit viel Bewegung so ausführen? Und noch weiter gedacht: wie gut war die ausgewählte Handlung überhaupt und sollte ich den Ball im Wettkampf so spielen?  Die Spieler wissen es nicht, weil isolierte Situationen trainiert werden, die keinerlei Feedback ermöglichen. Bei  Übungen mit Ballmaschine merkt der Übende oft nicht einmal, ob er einen Ball ins Aus oder ins Netz gespielt hat, sondern er läuft einfach dem Ball hinterher und arbeitet die Wiederholungen ab. So etwas wird ihm zu 0,0% dabei helfen Badminton wirklich zu verstehen.

Die Lösung des Problems:

Die Lösung für das Problem ist eigentlich ganz einfach: Übungen mit fliegendem Ball!  Wenn aus einer Ballmaschine zugespielt wird, kommt der Ball immer aus der gleichen Position, egal wohin ich spiele und mein Schlag hat keinerlei Konsequenzen.  Durch Übungen, bei denen nur ein Ball genutzt wird, entstehen automatisch realistische Spielsituationen, denn der Ball kommt auch immer von dort zurück, wo ich ihn  hingespielt habe, abhängig vom Tempo und Winkel meines Schlages.

Außerdem bekomme ich auch ein unmittelbares Feedback darüber, wie gut meine ausgewählten Handlungen waren und ich lerne schneller zu beurteilen, in welchen Situationen welche Technik Sinn macht. Zudem sind die hier entstehenden Situationen wie eingangs beschrieben viel individueller. Unterschiedliche Flugkurven, Ballgeschwindigkeiten etc. haben einen großen Einfluss auf die Schlagwahl und diese entstehen durch fliegenden Ball automatisch bei jedem einzelnen Ballwechsel

Möglichkeiten für Übungen mit fliegendem Ball

Auch mit fliegendem Ball gibt es die Möglichkeit sehr viel zu variieren, besonders in Bezug auf die Offenheit der Übung. Bei festen Schlagreihenfolgen wie beispielsweise Wechseldrop („lang-kurz-kurz“) lassen sich Techniken sehr gut  trainieren. Da die Handlungen/Schläge aber bereits komplett  vorgegeben sind, geht der taktische Aspekt verloren. Die Spieler müssen keine situationsspezifische Handlung auswählen und bekommen daher auch keinerlei taktisches Feedback.

Das andere Extrem sind offene Spielübungen bei denen alles erlaubt ist und die somit auch ein sehr spielnahes taktisches Feedback ermöglichen. Die hohe Komplexität führt in der Regel aber dazu, dass die Spieler ohne direkte Rückmeldung durch einen Trainer oft nicht mehr erkennen können in welchen Situationen sie gute oder schlechte Entscheidungen getroffen haben.

Natürlich gibt es aber nicht nur diese beiden Extreme und besonders bei erfahrenen Spielern sind Schlagreihenfolgen mit Zusatzoptionen oder Spielformen mit Regeleinschränkungen sehr gut geeignet um Technik und Taktik zu trainieren und ein besseres Verständnis für das Spiel zu bekommen. So kann allein schon die Option eines weiteren Netzsstopps bei der Übung Wechseldrop die Übung extrem bereichern. Beide Spiele müssen nun beurteilen, wie wahrscheinlich ein erneuter Stop des Gegners ist und können nicht einfach direkt nach hinten laufen.  Auch der Effekt von Flugkurve und Geschwindigkeit wird deutlich: Wenn ich einen sehr knappen Ball hinters Netz spiele wird  es meist wahrscheinlicher, dass der Gegner kurz zurück spielt. Falls doch ein hoher Ball kommt, fliegt dieser mit einer extrem hohen Flugkurve und ich habe viel Zeit um nach hinten zu laufen. Die Konsequenz: Ich kann weiter vorne am Netz lauern wenn ich so einen Ball spiele.

Zuwurf und Ballmaschine: Gewusst wann und wie!

Jetzt gibt es sicher diejenigen die sagen: Bei ungeübten Spielern und Anfängern kommen Übungen mit fliegendem Ball doch gar nicht zum Laufen und sogar Topsspieler nutzen ständig Zuwurf und Ballmaschine in ihrem Training. Ja, es gibt definitiv Situationen in denen wir um Zuwurf und Ballmaschine nicht herumkommen werden und in denen sie auch sinnvoll und hilfreich für unser Training sind.

Vor allem wenn es darum geht, neue Techniken zu lernen und eine Bewegungsvorstellung zu schaffen, sollte man auf jeden Fall mit einfachem Zuwurf und Zuspiel anfangen. Technik ist immer die Voraussetzung, um überhaupt taktisch handeln zu können, also muss der Grundstein erst einmal gelegt werden und das klappt in der Regel nicht mit fliegendem Ball. Oft kann man aber relativ früh schon Elemente eines fliegenden Balls in eine Übung einbauen. Bei der sogenannten Semiballmaschine wird ein Ball immer mehrfach (mindestens zwei Mal) gespielt, ehe der Zuspieler einen neuen Ball nimmt und diese kann so als fließender Übergang zu Übungen mit fliegendem Ball dienen. Mehr Details dazu in diesem Video:

 

Auch Topsspieler nutzen häufig noch Zuwurf und Ballmaschine. Besonders für Ausdauertraining ist die Ballmaschine sehr gut geeignet, da sie eine leichte Belastungssteuerung ermöglicht und hier wird sie denke ich auch von jeder Badmintonnation der Welt intensiv genutzt. Ebenso beim Techniktraining kommt Zuwurf und Zuspiel überall zum Einsatz und zusätzliche Wiederhoungen mit guter Qualität helfen auch Topsspielern noch einmal mehr Konstanz und Präzision in ihr Spiel zu bringen.

Hier gibt es mit Sicherheit auch viele Spieler die einfach nur aus dem Stand Wiederholungen abspulen. Ich denke, dass sich clevere Spieler hier abheben, indem sie z.B. bei jedem Schlag zumindest noch einen kleinen Laufweg oder Schritt zum Ball machen um das Training zumindest etwas spielnäher zu gestalten und den Übertrag auf das normale Spiel zu vergrößern.

Fazit

Wenn es um die Gestaltung von Training geht sollten wir uns immer die Frage stellen, was unser vorrangiges Ziel ist. Wollen wir eine Technik von 0 auf erlernen oder uns mit Ausdauertraining an die Grenzen bringen? Dann nur zu, ab an die Ballkiste und mit Ballrollen aufs Feld. Generell bin ich aber der festen Überzeugung, dass wir immer nach Lösungen für unser Training suchen sollten mit denen Technik möglichst spielnah trainiert werden kann und die uns oder unseren Spielern wenn möglich noch ein besseres Verständnis von Badminton vermittelt und im Idealfall zu schlauen Athleten macht. Oft ist Zuwurf und Zuspiel mit Ballrollen hier nicht die Ideallösung.

Übungen mit fliegendem Ball machen außerdem häufig mehr Spaß als Zuwurf und Zuspielübungen und wie oben beschrieben können sie von alleine Feedback an die Spieler geben, ohne dass der Trainer auf jedem Feld aktiv eingreifen muss. Überlegt also das nächste Mal wenn ihr in der Halle seid, ob es für eure Zuwurf oder Zuspielübung nicht vielleicht auch eine andere, etwas spielnähere Möglichkeit gibt, von der am Ende alle Beteiligten profitieren.

Tobias

Eine Antwort

  1. Grandioser Artikel Tobi,

    und definitiv eine Bereicherung für jeden Trainer egal welches Level.
    Die oben genannten Erkenntnisse würde ich mir ganz häufig in der Umsetzung von Trainingseinheiten zum Erlangen von taktischen Fähigkeiten wünschen

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